In freudiger Erwartung begrüßt Herr Schnepfe den neuen Tag – er hat heute ein „blind Date“. Er war schon leicht frustriert. Seit einer Woche durchstreift er bereits die Wiesen südlich des Dümmer auf der Suche nach einer potentiellen Saison-Liebschaft aber bisher erfolglos und sein spezieller Frauen-Geschmack macht die Suche nicht leichter. Bei der Masse der normal gefärbten Weibchen fehlt ihm der letzte Kick der seine Hormone in Wallung bringt. Folglich waren seine bisherigen Balzversuche maximal als halbherzig zu bezeichnen und sorgten auf weiblicher Seite eher für Belustigung denn für Liebestaumel.

Doch gestern weckte sein bester Kumpel von der Dümmer-Nordseite sein Interesse an einem außergewöhnlichen Weibchen, das sich ebenfalls noch auf der Suche befindet. Kurzerhand wurde für heute ein Date organisiert. Jetzt hieß es für Herrn Schnepfe erstmal sein Junggesellen-Revier auf Vordermann zu bringen und einen vorwitzigen Kiebitz zu verscheuchen. Anschließend sorgte er dafür, dass jede einzelne Feder an ihrem Platz saß und strahlte. Jetzt war er bereit.

Endlich, gefühlt nach Stunden, sah er sie. Elegant stelzte sie durch das hohe Gras direkt auf ihn zu. Ihre blasse Schönheit überwältigte ihn. „Wow, endlich ein Weibchen, das nicht aus der Kategorie braungebrannte Sonnenanbeter-Schnepfe stammt.“ Sein Herz begann heftig zu pochen und seine Beine wurden weich. Er drohte vom Pfahl zu kippen. Er fing sich so gerade eben und landete etwas unbeholfen aber wenigstens aufrecht vor ihr auf dem Boden.

Herr Schnepfe dachte: „Wie gut, dass ich nicht zur Art Homo sapiens gehöre. Sonst müsste ich jetzt eine intellektuelle Diskussion vom Zaun brechen und mit meinen inneren Werten überzeugen. Hier reicht hoffentlich etwas Aufplustern, mit-den-Flügeln-schlagen und Krach machen.“ Frau Schnepfe dachte: „Hoffentlich ist er ein richtiger Kerl und zwingt mir kein intellektuelles Gespräch auf! Ich suche doch nur eine Saison-Liebschaft und keinen Kerl, der mir auch im Winter hinterher stelzt."

Nach etwas Aufplustern, mit-den-Flügeln-schlagen und Krach machen seinerseits merkte Frau Schnepfe: „Es passt!“ …und er sah verdammt gut aus. Verliebt schloss sie die Augen und genoss sein Werben. „Endlich weiß ein Kerl mein Äußeres zu schätzen und wirbt um mich… hat ja lange genug gedauert dieses Jahr!“

Diese Geste entging Herrn Schnepfe natürlich nicht und er nutzte die Situation schamlos aus. Mit seinem Schnabel begann er zärtlich am Halsgefieder von Frau Schnepfe zu knabbern und in seiner Phantasie war er bereits einige Schritte weiter. Ein Schauer durchlief ihren Körper und sie gestattete sich seine Liebkosungen einen kurzen Moment zu genießen. 

Dann zog sie sich abrupt zurück: „Du Schlingel! Beim ersten Date schon aufs Ganze gehen. Das könnte Dir so passen. So leicht bin ich nicht zu haben.“ Insgeheim grinste Frau Schnepfe in sich hinein: „Kindererziehung erfordert Ausdauer, Hartnäckigkeit und ein ordentliches Maß an Frusttoleranz. Daraufhin müssen wir Dich erstmal prüfen. Sonst bleibt womöglich der ganze Stress an mir hängen.“

Und so ließ sie Herrn Schnepfe bildlich im Regen stehen. Er war schockiert und doch sicher, dass sie seine Berührungen genossen hatte. Wo sollte er jetzt hin mit seiner ganzen hormongeschwängerten Männlichkeit? Als Übersprunghandlung begann er damit nach Würmern und Engerlingen zu stochern. Eine große Portion Frust war sicherlich auch dabei.

Dieser Cocktail aus Kohlehydraten und Proteinen half ihm schließlich dabei die Kontrolle über seinen hormongesteuerten Körper wieder zu erlangen und auch sein Denkapparat konnte wieder klare Gedanken fassen. Er suchte sich einen Pfahl für die Nachtruhe und feilte noch etwas an seiner Aufpluster-mit-den-Flügeln-schlagen-Krach-mach-Choreographie, um am nächsten Tag erneut sein Glück bei Frau Schnepfe zu versuchen. Sie hatte es ihm wirklich angetan und ihr heutiger Rückzug hatte ihre Attraktivität für ihn nur noch zusätzlich gesteigert… ob es ihm passte oder nicht.